Kleine Geschichte der Grefrather Rathäuser

Wenn Ortsunkundige einen Grefrather Mitbürger fragen: „Wo ist denn das Rathaus?“, dann erhalten sie mit Sicherheit die Antwort: „An der Bahnstraße.“ Die genaue Adresse lautet: Rathausplatz 3. Dies war allerdings nicht immer so.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über den Neubau eines Rathauses beziehungsweise über den Erwerb des Verwaltungsgebäudes von Johnson Controls
durch die Gemeinde wird daher immer wieder die Frage gestellt: „Wo war denn das Rathaus früher?“ Die Antwort lautet: „Es befand sich – wie in zahlreichen anderen Städten und Gemeinden auch – in der Mitte des Ortes, in der Nähe der Kirche.“ Bis in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde vielfach noch zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Bürgermeisteramt unterschieden. Heute befindet sich in dem ehemaligen „alten“ Bürgermeisteramt das Herrenmodegeschäft Hanisch. Zuvor befand sich dort das Elektrogeschäft Herring.

In der Autobiographie, die der ehemalige Grefrather Bürgermeister Johannes Spickenheuer im Jahre 1905 nach einer 50jährigen Amtszeit verfasst hat, heißt es unter anderem:
Das alte Rathaus am Marktplatze, 1783 errichtet, diente unten als Wohnung für einen Polizeidiener nebst Familie und oben 2 Räume als Amtsbüro, sehr beschränkt mit niedrigen Decken, womit ich mich 32 Jahre beholfen hatte. Der Gemeinderat konnte bei dem ( … ) Bedürfnisse seine Zähheit nicht länger aufrecht erhalten und mußte den Erweiterungsbau votieren. Neben dem alten Rathause befand sich auch noch ein Schuppen für Feuerlöschgeräte, ganz primitiv daran in die Straße hinein vorstehend das alte Schulgebäude.
Die primitiven Räumlichkeiten (Rathaus) waren in Anbetracht der Räume und dem Betriebe längstens nicht mehr zeitgemäß, aber die Belastungen der Gemeinde erheischten ein Verschieben bis zum äußersten. Infolgedessen kam es erst 1885 zum Erweiterungsbau in seiner in etwa zulässigen Größe und Einteilung. Letztere ist indessen von meinem Nachfolger anders geschaffen worden, während ich für den Verkehr die unteren Räume geschaffen hatte, weil ich solchen für praktisch erachtete.

An der Südseite des Gebäudes befinden sich auch heute noch die Jahreszahlen 1793 und 1885, die auch in dem oben zitierten Text erwähnt wurden. An der Nordseite befindet sich das Gemeindewappen mit dem Heiligen Laurentius, das leider nur vom Banten Treiter aus gut zu erkennen ist.

In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhundert war das Rathaus mit seinen bis dahin vorhandenen Räumlichkeiten zu klein geworden, so dass man sich entschloss, ein Gebäude zu erwerben, das dem Grefrather Ehrenbürger, Kommerzienrat Berger, gehörte, die „Berger Villa“. Das Haus wurde in den Jahren 1900  – 1903 im Jugendstil, dem Stil der damaligen Zeit, von der Firma Arnold Schmitz erbaut. Auftraggeber war Kommerzienrat Wilhelm Berger – Eigentümer  der Leinenweberei Berger – der das Haus für seine Familie erbaute. Aus diesem Grunde wurde das Haus, wie oben bereits erwähnt, „Berger Villa“ genannt. Nach dem Tode von Wilhelm Berger kaufte die Gemeinde das Gebäude, das im Jahr 1958 eine neuzeitliche Erweiterung erhielt. Es ist eines der  wenigen repräsentativen Gebäude in unserer Gemeinde und für Grefrather Verhältnisse einzigartig. Es verdient daher unseren besonderen Schutz.

Der Umzug vom alten in das neue Rathaus erfolgte im Jahr 1939 „mit Sack und Pack“ und unter Einsatz von Handwagen und Pferdefuhrwerken. Der Aufenthalt in den neuen Räumlichkeiten dauerte jedoch nicht lange: der Standort des neuen Rathauses war wegen seiner Nähe zum Bahnhof zu gefährlich geworden. Schließlich waren Bahnhöfe gegen Ende des Krieges beliebte Ziele von Tieffliegern, und das Rathaus konnte sehr leicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Außerdem waren in der Nähe des Bahnhofs schon einige Bomben gefallen. Daher zogen Teile der Verwaltung in das zur damaligen Zeit leerstehende Haus der Familie Schmitz, Hinsbecker Straße 4, um. Die Familie Schmitz war zur damaligen Zeit evakuiert. Die Nähe des ehemaligen Krankenhauses bot darüber hinaus einen gewissen Schutz, weil auf dem Dach des Krankenhauses ein großes, für Tiefflieger leicht zu erkennendes und von ihnen respektiertes rotes Kreuz angebracht war.

Zeitzeugen erinnern sich, dass die Räumlichkeiten in dem alten Rathaus nach dem Auszug der Verwaltung von der Partei, der NSDAP, in Anspruch genommen wurden. Im Erdgeschoss befanden sich die Räumlichkeiten für den damaligen Ortsgruppenleiter. Verschiedene Zeitzeugen berichten unabhängig voneinander, dass Parteigenossen von dort beobachteten, wer sonntags den Gottesdienst besuchte. Vorübergehend wurde in den Räumen auch Geld an Personen ausgezahlt, die in Krefeld ausgebombt waren und die in Grefrath vorübergehend eine Bleibe gefunden hatten.

Nach 1945 befand sich im Obergeschoss für kurze Zeit eine mit 2 Angestellten besetzte Nebenstelle des Arbeitsamtes Kempen, deren Aufgabe es vor allem war,
sich um die Arbeitsvermittlung für die heimkehrenden Soldaten aber auch für die zahlreichen Flüchtlinge und Vertriebenen zu kümmern. Im Erdgeschoss befand sich vorübergehend das Versorgungsamt, in dem Lebensmittelkarten und Bezugscheine zum Beispiel für Kleidung ausgegeben wurden. Später wurden die Räume im Erdgeschoss von der Polizeidienststelle Grefrath genutzt, bis diese in das Haus Vinkrather Straße 5 umzog.

Das alte Grefrather Rathaus war im Vergleich mit Rathäusern anderer Gemeinden der Umgebung architektonisch gesehen kein Juwel. Um so bedauerlicher ist es, dass die wenigen Verzierungen, zum Beispiel das Fries und der preußische Adler, die noch auf alten Postkarten aus dem 20er Jahren des vergangenen Jahrhundert zu erkennen sind, beseitigt wurden. Dies gilt auch für das sogenannte „Kitschen“, das Grefrather Ortsgefängnis, das unter anderem auf Bildern aus der Zeit um 1950 noch zu sehen ist. Im Jahre 1954 wurde dem jetzigen Eigentümer eine Baugenehmigung zum Umbau erteilt, die unter anderem auch der Abbruch des Kitschens zur Folge hatte.